In den Novembertagen 1998 startete meine zweite Reise in das Reich der Mitte. Es war eine ebenfalls neuntaegige Kurzreise nach Peking mit einem Besuch der Sehenswuerdigkeiten in und um Datong. Urspruenglich wollten Conny und ich uns die Hauptstadt noch einmal in aller Ruhe betrachten, las ich jedoch von dieser Industriemetropole, die nur 350 Kilometer von Peking entfernt liegt, von seinen besonderen historischen Bauwerken. Den Tag vor unserer Fahrt nach Datong nahmen wir fuer eine entspannte Besichtigung, hatten wir mit dem Jetleg noch ein wenig zu kaempfen. Ganz in der Naehe unseres Hotels befand sich der Himmelstempel. Ein erster Besuch der Fluestermauer mit seinen beiden weiteren Teilen der Tempelanlage war eine gute Gelegenheit fuer einen entspannten ersten Tag.

Zum Abend des darauffolgenden Tages begleitete uns eine freundliche chinesische junge Dame zum Pekinger Westbahnhof. Der Zug stellt fuer die Chinesen das Hauptverkehrsmittel dar. In riesengrossen Wartehallen mit vielleicht der Groesse eines halben Fussballfeldes sitzen die Fahrgaeste und warten auf das Eingelassenwerden zu ihrem Zug. In China ist die Organisierung des Zugfahrens ein wenig anders als in Deutschland. Der chinesische Mensch ist ein sehr auf Sicherheit bedachter. Damit aufgrund der Vielzahl der Reisenden bei den extrem langen Zuegen und somit der hohen Passierzahl auf den Bahnhoefen 100 % Sicherheit bei Einfahrt des Zuges gewaehrt werden kann, werden die Menschen in grossen Warteraeumen empfangen und warten dort bis zum Eintreffen des Zuges. Erst, wenn dieser am Bahnsteig steht, oeffnen sich im Warteraum die Tueren und gegen kurze Kontrolle der Tickets gewaehrt man den Reisenden Einlass. Die Zuege sind wie bereits erwaehnt sehr lang und um eine ordentliche Betreuung der Fahrgaeste zu garantieren, steht an jedem Wagen eine Dame vom Zugpersonal, die entprechend der Tickets die Plaetze zuweist. Keiner kann durch den Zug rennen und so eventuell den reibungslosen Ablauf des Einsteigens stoeren. Der Fahrgast geht also zu ’seinem’ Wagen und erhaelt dort eine Platzkarte, die er fuer die Fahrt gegen sein Ticket eintauscht. Somit weiss das Zugpersonal immer ueber den Reiseverlauf jedes einzelnen Gastes Bescheid, wann er fuer den rechtzeitigen Ausstieg geweckt oder informiert werden muss. Ein sehr gut organisiertes System. Puenktlich auf die Minute verlassen wir den Pekinger Bahnhof und sind fuer die naechsten siebeneinhgalb Stunden unterwegs. In einem bequemen 4 Personen Schlafwagenabteil der 1. Klasse verbrachten wir bis zur morgentlichen Ankunft in Datong die naechtlichen Stunden. Herr Wang empfing uns bei puenktlicher Ankunft des Zuges, begleitete uns zum Hotel fuer ein Fruehstueck und eine kurze Entspannung. Im Anschluss standen die Yungang-Grotten auf unserem Programm, die mich von der halbplastischen Gestaltungsweise und den wunderschoenen Farben sehr beeindruckt haben. Das Leben, bzw. die Darstellung Buddhas wurde in 53 Hoehlen praesentiert. Heute sind immer noch nach den vielen Wirren ueber 1500 Jahre mehr als 51.000 Statuen und Reliefs erhalten geblieben. Urspruenglich sollen es einstmals doppelt so viele gewesen sein. Jedoch viele sind den Witterungseinfluessen zum Opfer geworden und auch dem damaligen Run auf die Kulturgueter entlang der Seidenstrasse durch die vielen auslaendischen Forscherteams. Insgesamt sind aus den Yungang-Grotten ueber 1400 Figuren herausgetrennt und ins Ausland gebracht worden. Ein grosser Teil ging nach Deutschland ins Ostasiatische Museum nach Berlin Dalem. Jedoch wurde im zweiten Weltkrieg fast ihre gesamte Sammlung zerstoert.

Ein anschliessender Besuch der Innenstadt fuehrte uns zu den beiden Kloestern Shan-Hua und Huayan. Es sind zwei sehr schoene Anlagen, die im 8. bzw. 11. Jahrhundert entstanden. In ihnen wurden lange Zeit 579 Baende buddhistischer Sutren aufbewahrt, bis sie weichen mussten, als zur Zeit der Ming-Dynastie diese als Getreidespeicher genutzt wurden. Unweit dieser Anlagen befindet sich die Neun-Drachen-Mauer, die einem damaligen Prinzen aus der Zeit der Mingdynastie als Sichtblende diente.

Ein Spaziergang durch die Altstadt beendete unseren ersten Ausflugstag mit rasch zunehmender Kaelte. Waren wir noch in den Morgenstunden bei 15 Grad in Datong angekommen, nahm die Stadt in wenigen Stunden ihre winterliche Temperaturen an.

 

Der folgende Tag brachte uns ein Glanzlicht altchinesischer Baukunst von besonderer Art nahe. 75 Kilometer suedlich von Datong besichtigten wir ein an einer Felswand haengendes Kloster, das von weitem wie ein Schwalbennest an einer riesigen Mauer aussieht. Es ist das Kloster, das an starken Querbalken haengt, die metertief in die senkrechte Felswand getrieben wurden. An ihnen haengt nun das gesamte Klostergebaude, die lediglich mit senkrechten Stuetzpfeilen gesichert wurden. Das Kloster diente den Pilgerern entlang des Weges zum Heiligen Berg Hangshan als Unterschlupf. Buddhisten, Daoisten und Konfuzianer fanden hier ihre Gebetsplaetze in vielen kleinen separaten Raeumen. Es ist ein beeindruckendes Gebaeude, ein faszinierender Bau aus der Zeit des 6. Jahrhundert, das farbenfroh sich von der steilen kahlen bis 300 Meter hohen Felswand klar heraushebt.

Viel zu zeitig waren wir mit unserem kurzen Ausflug nach Dotong fertig und warteten im Hotel auf unseren Transfer zum Bahnhof. Die kurzen Ausfluege waren interessant, einfach nur beeindruckend. Dass ich mir mit Datong eine Stadt ausgesucht hatte, die ich noch zwei weitere Male aufsuchen wuerde, das haette ich zum damaligen Zeitpunkt nicht gedacht. Fest stand nur eins, nachdem ich wieder in Berlin war, dass ich noch so einiges in Datong verpasst hatte.

Mit dem Nachtzug fuhren wir rein in den naechsten Tag, zurueck nach Peking. Einen guten Wegweiser hatten wir mit unserer mitgebrachten Broschuere zur Umgebung von Peking. So zeitig konnten wir im Zug noch nicht schlafen und suchten uns den naechsten Trip fuer die verbleibenden Tage. Wir entschieden uns fuer die Tempelanlage mit der Nordpagode. Hier soll mit der Errichtung dieses Tempels die Grundsteinlegung Pekings erfolgt sein. In eine schoene Umgebung eingeschlossen war die am Berghang liegende Tempelanlage gerade in Restaurierungsarbeiten eingeplant. Mit dieser interessanten Ziegelsteinpagode begann meine Leidenschaft, mich mit diesen Bauwerken naeher zu beschaeftigen. Die Pagodenbauweise ist eine ausgesprochene chinesische Bauart. Anlehnend an die persische Dagoba und indische Stupa wurde sie auf dem Weg der Seidenstrasse zur Zeit der Han-Dynastie durch die zentralasiatischen Gebiete und das Reich der Mitte bis zur damaligen Hauptstadt mehrerer kaiserlicher Dynastieen – Xi’an, weiterentwickelt zur Aufbewahrungsstaette buddhistischer Schriften, bzw. Reliquien Buddhas oder wichtiger buddhistischer Persoenlichkeiten.

Das Besondere an den Pagoden ist ihre vielfaeltige Bauweise und Formgestaltung. Sehr selten gibt es Pagoden, die sich einander gleichen, zog sie sich doch ueber 1.700 Jahre durch die Zeit mit ihren verschiedenen Dynastien und Kulturstroemungen.

Im Anschluss an die Besichtigung der Tempelanlage schauten wir uns eine von den grossen Tropfsteinhoehlen an, die es in China mittlerweile sehr zahlreich gibt. Die Chinesen haben viel Phantasie und eine Menge uebrig fuer Farbenspiele und Dinge, die wir wieder in Deutschland als kitschig einstufen wuerden. Aber unter den chinesischen Touristen wird das gerne gesehen und mit solch einer bunten Beleuchtungsvielfalt und eigenartigen Figuren modernster Bauart war diese Hoehle fast ueberschuettet worden, so dass ihr eigentlicher Glanz in unseren Augen nicht zum Tragen kam.

Unser Besuch war somit sehr kurz und machten uns auf der Suche nach geeignetem Transportmittel fuer den mindestens 30 km langen Heimweg zu unserem Pekinger Hotel.

Die Zeit verging wie im Fluge. Von den neun Tagen ist nicht mehr viel uebrig geblieben und unbedingt wollten wir uns fuer den naechsten Tag den Grossen Mauer Abschnitt bei Badaling vornehmen, war es doch beim ersten Mal vor 2 Jahren nur eine Stippvisite, ein Hauch von Naehe. Nach der noerdlichen Fahrt ins Stausee-Gebiet war unser wissender Taxifahrer bemueht, uns rechtzeitig zum Sonnenuntergang und Feierabend fuer die Kartenverkaeufer zur Grossen Mauer zu bringen. Tatsaechlich erklommen wir schnellen Schrittes zu Fuss mit „Hunderttausend“ Stufen die oberste Kammlinie mit der langsam untergehenden Sonne. Es war ein bemerkenswerter Anblick, den riesigen Schatten der Mauer auf der gegenueberliegenden Bergseite mit dem weiterverlaufenden Mauerabschnitten zu verfolgen, bis die Seite ganz im Dunkeln verschwunden war.

Unser allerletzter Tag in Peking gehoerte der Innenstadt. Ich weiss heute nicht mehr genau, wo wir ueberall mit unseren Raedern unterwegs waren, aber auf jeden Fall war es ein anderer abenteuerlicher Abschnitt, sich unter die endlosen Pekinger zu mischen und mit ihnen zu „schwimmen“. Es war ein schoenes Beinbaumelnlassen, das uns die Abreise aus Peking um einiges schwerer fallen liess.

 

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