Ein ganz normaler Herbsttag in Guilin ....

 

Ich sitze in meinem Buero und stelle  beim Durchblaettern meiner Unterlagen erfreut fest, dass meine letzten Unternehmungen zu Weihnachten 2006 in die Provinz Yunan und zum Neujahrsfest im Februar 2007 in die Provinz Guizhou sich mittlerweile ausgezahlt haben. Ich kann sie wunderbar in die Reiseempfehlungen fuer meine Gaeste einordnen mit wenig Gedraenge durch auslaendische Touristen. Das individuelle Reisen bei den Chinatrips gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, wissen die Reiseagenturen, dass das Suchen nach den liebenswerten Kleinigkeiten und Einfachheiten des chinesischen Alltags zu einem immer schwierigeren Unterfangen wird. Sind die chinesischen Menschen auch zu recht stolz auf das Moderne, dass sie in der Kuerze der Zeit geschaffen haben, so moechte doch der europaeische Auslaender schwerpunktmaessig das traditionelle, das nostalgische China sehen, mit seinen Errungenschaften von vor mehr als 20 Jahren.

Bereits vor 10 Jahren war Guilin ein schoener Flecken mit einer ungeregelten Tourismusbewegung. Dieses landschaftliche Kleinod zog mit den Jahren mehr und mehr Touristen an, sagt man doch nicht zu unrecht, dass der Perlfluss mit seinen einzigartigen Karstkegel-Bergformationen zu eine der schoensten und reizvollsten Kullissen Chinas zaehlt. Parallel dazu konnte man ueberall, selbst hier im Zentrum der Stadt , in der Naehe der Touristen-Meile, immer Traditionelles in Reichweite sehen und zur Genuege ausprobieren, sich in alte Zeiten zurueckziehen lassen. Die Obsthaendler mit ihren mobilen Staenden waren zwar nicht mehr marktschreierisch unterwegs, aber sie standen an jeder Ecke und boten ihre frischen Waren an. Mein Lieblingsessen, ein Eierkuchen-aehnlicher Fladen mit feinem Gemuese und Wienerwurstaehnlichem lockten nicht nur die chinesischen Geschmaecker an. Ich ass diese Fladen unheimlich gerne. Sie wurden frisch zubereitet, wenn man vor ihnen den 2,- Yuan-Schein hinlegte. Im Nu war das 4 Stunden anhaltene Saettigungsgefuehl erreicht. All diese mobilen Staende sind aus dem unmittelbaren Stadtzentrumsbild verschwunden. Ich kann die Regelungen seitens der oertlichen Organe verstehen, da mit diesen bisher bekannten Bildern leider auch die "Bettler" angezogen wurden, die teilweise von der eigenen Bevoelkerung dazu angehalten wurden lieber arbeiten zu gehen. Es gab Erwachsene, die ihre talentierten Kinder artistisches vorfuehren liessen, was ich in ihrer Ausfuehrungsweise nicht mehr so richtig gesund fand. Dem konnte tatsaechlich Einhalt geboten werden. Man will nicht, dass dieses Bild von Chinaunwissenden ins Abseits gezogen wird.

Die chinesischen Gastgeber wissen mittlerweile auch ganz genau, von wem sie  besucht werden, nicht nur von Freaks, die sich um solche Geschichten fuers Zuhause nicht kuemmern wuerden. Es kommen mittlerweile auch die typischen (man moege mir den Begriff verzeihen, denn auch ich mag diese kleine Insel) „Mallocra-Touristen“ nach China und deren Vorurteile bei solchen Bildern sind schnell entwickelt. Im Vorfeld der Olympischen Spiele wird viel getan, da die Welt jetzt schon sehr kritisch auf Peking, auf China schaut. Und alles, was gefunden wird, wird von westlichen Medien verarbeitet.  Verstehen kann ich es also sehr gut.

Aber dieses Beiseiteschieben geschieht auf gute Art und Weise. Die Sicherheitsorgane sind souveraen, lediglich eine ruhige eindeutige Weisung reicht aus, um dieses kleine Problem sofort zu klaeren. Autoritaeres Handeln ist nicht notwendig. „Leben und Lebenlassen“...heisst es in der Oeffentlichkeit und in solchen konkreten Faellen.

Diese Haendler finden dann unweit der Tourismusmeile ihren naechsten Standort, vielleicht gerademal 1 km entfernt, keiner stoert sie dort, wenn nichts uebertrieben wird...weil ...keine Touristen...und ihr Geschaeft geht dort genauso gut.

Grosszuegig und mit Fingerspitzengefuehl arbeitet die Polizei in der Oeffentlichkeit. Kleinigkeiten, die auch Kleinigkeiten darstellen,  werden von ihnen auch wie Kleinigkeiten behandelt. Sie gehen sehr klug vor. Die Polizei muss es nicht demonstrieren, sie ist Autoritaet. Selten sieht man sie in ihren Uniformen in Aktion, wenn es gilt, den ungezuegelten Berufsverkehr an vielen Kreuzungen zu koordinieren. Hier, wo das spielerische Talent jedes Einzelnen es erlaubt, die Seiten zu wechseln je nach Schnelligkeitsvorteilen dem anderen gegenueber, werden klugerweise nicht die oeffentlichen Angestellten eingesetzt. Hier bedient man sich gerne der Hilfe von zivilen Ordnungkraeften, die gerne und viel genauer den Ampel-unterstuetzenden Verkehr regulieren. Frueher vor vielen Jahren hatte man kleine Verkehrssuender eingesetzt, die zur heilsamen Lehre selbst zum Faehnchen greifen mussten, um die Ampeldisziplin zu unterstuetzen. Heutzutage bedient man sich dieser traditionellen Hilfe auf professionelle Art und Weise. Mit ihren Trillerpfeifen sind sie nicht zu ueberhoeren. Die Menschen selber zur Disziplin erziehend funktioniert dieses System sehr gut.

Das Hierarchiegefuege spielt in China nicht nur eine Rolle im dienstlichen Gebilde von Vorgesetzten und Angestellten, von der Rolle des Gastes oder des Kunden im Dienstleistungsgewerbe oder den Verkehrsteilnehmern und denen, die dort das Steuern haben. Diese Systeme funktionieren reibungslos, sie sind so etwas wie ein fester Bestandteil im gesellschaftlichen Leben. Jeder ordnet sich automatisch ein, ganz gleich wo,...in welcher Situation er sich befindet und welche Spielregeln gerade verlangt werden.

Das beruehmte „Gesicht-bewahren“ hat hier eine Schluesselposition.

Fuer das Selbstwertgefuehl eines chinesischen Menschen zaehlt es, durch sein Tun nicht unbedingt in Kritik zu geraten. Kritisch jemanden zu beurteilen hat auch immer mit Gesichtsverlust des anderen zu tun. Tunlichst wird man vermeiden, die Buehne entweder von der einen oder anderen Seite zu betreten. So laesst sich ein wenig  auch in diesem Zusammenhang die Frage beantworten nach dem hohen Selbstbewusstsein der Chinesen...wir schauen mal in ein typisches Restaurant zum Abendessen rein:

Gegen 19 Uhr findet man in den Lokalitaeten fast kaum einen Platz. Gegessen wird in China fast puenktlich auf die Minute. Wenn der auslaendische Tourist in einem Restaurant sitzt, stellt er nach kurzer Zeit fest, dass der chinesische Gast wirklich Koenig ist. Nicht lange muss er warten, bis es zu den ueblichen kleinen Dialogen kommt wegen zu kaltem Essen, nicht ausreichend scharfem, fehlender Schuessel voll Reis, Speisen, die dem Gast nicht „gut genug“ aussehen oder wegen noch fehlender Essstaebchen und vielen anderen nicht nennenswerten Dingen.

Die vielen kleinen Beanstandungen sind es nicht, die aufhorchen lassen. Diese sind normal, geht es doch mit dem Essen sehr schnell zu in einem Restaurant, macht der Gast schon nach kurzer Zeit dem naechsten Platz. Was einem sofort auffaellt, ist der Umgangston..., der Umgangston des Gastes mit seinem Bediensteten. Freundlichkeit, wie wir sie von zu Hause kennen, ist hier nicht gegeben. Es gibt klare Anweiseungen, Anliegen oder wie gesagt, die kleinen Aenderungswuensche. Sicherlich gibt es auch freundliche Gesten ohne Zweifel, aber ueberwiegend ist ein sehr dienstlicher Ton unter den Gaesten gegenueber dem Personal herauszuhoeren. Das persoenliche Temperament des Gastes steuert die Wortwahl und den Ton seiner Musik. Es scheint einem beim Betrachten dieser kleinen schwungvollen Spielchen, dass der Gast nicht nur Koenig, sondern auch der ewig Rechtbehaltende ist. Sicherlich wird dem Gast schon mal gelegentlich sein Fehler vorgerechnet, aber das ist nur in bescheidenem Maße angesagt. Man vermeidet, Kritik am „Koenig“ zu ueben. Geduldig wird es ertragen, stellt es doch fuer den Unterstellten keinen Gesichtsverlust dar bei diesem klaren hierarchischen Verhaeltnis vom Gast zum Personal.

Wenn irgend etwas nicht stimmt oder der Gast die Rechnung verlangt, wird lediglich der Ruf nach dem Personal vernommen, ohne besondere koerperliche Regung...souveraen. Nur die Stimme und die Kopfhaltung zeigen dem schnell Herbeieilenden die Richtung an. Auch das beanstandungslose Bezahlen der Rechnung hat seine seine Besonderheit. Waehrend die Geldrueckgabe mit hoeflichen zwei Haenden vom Personal erfolgt, hat der Gast kurz vorher gelassen sein Geld auf den Tisch „geworfen“.

Es ist immer wieder ein amuesantes Schauspiel der Kraefte, das inszeniert wird. Der Mann, der hier die „Hose anhat“, weiss sich zu Hause im Kreise seiner Familie wieder gut einzufaedeln, ist die Rangfolge doch hier wieder etwas anders.

 

Manch ein  Kunde tankt so sein Selbstbewusstsein zu 100 Prozent auf, hat er doch in der Oeffentlichkeit Staerke bewiesen. Sicherlich kennen wir zweifelsfrei aehnliche Situationen auch in Deutschland. Aber hier in China ist mir das sehr bewusst aufgefallen und einfach zu haeufig, als dass es eine Ausnahme darstellt. Freundlichkeit, wie freundliches Laecheln, Danke und Bitte-sagen fallen hier fast aus dem Sprachgebrauch des Gastes heraus. Das kennen die Bediensteten eigentlich nur von den Auslaendern, die deswegen wiederum vom Personal belaechelt werden...aber angenehm und freundlich.

 

Und so kommt fast jeder Chinese in den Genuss, sein fuer ihn wichtiges Selbstbewusstsein irgendwo am richtigen  Ort in der Oeffentlichkeit wieder aufzupolieren. Dies wird bedingungslos von anderen akzeptiert. Es wuerde sich auch keiner dazwischenstellen. Das waere Kritik am Anderen, bedeutet Gesichtsverlust und fuer ihn, den Rechthabenden gleiches, muss er sich womoeglich fuer seine Kritik entschuldigen.

 

Wenn man in China arbeitet, dann kann jeder sicher erahnen, dass damit ein voller Tagesablauf verbunden ist. Fehlt bei mir noch mein Training in der Aufzaehlung, das ich seit meinem erneuten Eintreffen hier in Guilin konsequent bei jeder Temperatur durchziehe. Egal, ob es bei 38 Grad schneit oder regnet, meine ganz in der Naehe liegende Aschenbahn ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Ich trainiere ziemlich hart, aber nicht im tollkuehnen Bereich. Regelmaessig habe ich am Abend die aeltere Generation an meiner Seite, die muntere Gespraeche beim Umwandern der Aschenbahn fuehrt. Gleich in der Naehe ist ein Basketballfeld, das zwei- bis dreimal in der Woche ab 20 Uhr zu einer Tanzflaeche umgestaltet wird. Wunderschoene alte Musik aus den 50-iger und 60-iger Jahren, bei denen sich die Frauen anmutig bewegen koennen. Eine Augenweide, dem still einfach zu folgen. Es ist immer wieder bewundernswert, wie die aeltere Jugend ihre Geschmeidigkeit bewahrt hat. Mittlerweile kennt man mich mit meinem eigenartigen Treiben auf der Bahn. Sie koennen nicht verstehen, wie man sich so abhetzen kann. Denn ihre Bewegungen in Ruhe dienen der Erhaltung der Gesundheit aus einer ganz anderen Sichtweise. Sie treiben keinen Sport "extra". Sie haben keinen zusaetzlichen Luxus daraus gemacht, sie leben einfach zusammenhaengend gesund. Der alten Weisheit von Einheit von Koerper und Geist folgend sind Ihnen leistungssportliche Allueren gaenzlich unbekannt.

Manchmal bin ich auch in meiner Mittagspause von 11:45 bis 14:30 mit meinem Rad schnell zum Umziehen nach Hause und dann gleich weiter ins Stadion gefahren, um bei noch vor kurzem  fast 35 Grad  meine kuehlen Runden zu drehen. Spaetestens jetzt habe ich hier die Chinesen nicht auf meiner Seite. Das, so denke ich, versteht keiner. Sie sehen nur, dass kein Chinese weiter zu sehen ist. Selbst, wenn ich zu verstehen gebe, dass ich sehr gerne laufe, laechelt mir Hoeflichkeit entgegen. Draussen bei mir zu Hause, 4 Kilometer vom Zentrum entfernt, ist ein schoenes Fleckchen. Hier herrscht Feierabendruhe ab 19:00 Uhr, auch wenn noch geschaeftliches Treiben ohne Ende ist. Aber die Leute finden sich bei diesem schoenen Wetter nach und nach ein und sitzen vor ihren Haeusern und spielen zusammen Karten, Schach oder Go, oder sie essen gemuetlich, erzaehlen dabei. Eine schoene andere Athmosphaere, als dieses Innenstadtleben, das die Chinesen foermlich fuer den Moment ihrer Arbeit am internationalen Zipfel entwurzelt...

...ein ganz normaler Herbsttag in Guilin.

 

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