Kulturunterschiede sind nicht alles…

 

Am spaeten Nachmittag erreichten wir an einem Tag im Mai 2001 Dunhuang, Chinas aessersten Garnisionsstuetzpunkt zur Zeit der Han-Dynastie.

Es war ein besonderer Augenblick, diese Stadt zu beruehren, wollte ich hier vorerst einen Endpunkt setzen auf dem Weg der Seidenstrasse von Ost nach West, von Xi’an bis an den Rand der Wueste Taklamakan.

Vier Tage wollte ich hier zubringen, gab es hier sehr interessante Sehenswuerdigkeiten zu betrachten. Unser Hotel befand sich unmittelbar in der Naehe des ankommenden Busses. Somit war die kleine ersehnte Ruhepause nicht mehr fern.

Am Abend galt unsere Aufmerksamkeit dem Nachtmarkt, war unser Hungergefuehl schon ganz schoen ausgereizt. In der Hoffnung, diesen gefunden zu haben, stellten wir fest, dass es einer von den vielen war, die jetzt gegen 21 Uhr so langsam die Segel strichen. Wir sahen, wie nach und nach die vielen „Restaurantbesitzer“ ihre Sitzbaenke und Tische zusammenklappten und dabei waren, neben dem kleinen Ofen alles fein geordnet auf dem Fahr-Dreirad zu verstauen, um nach Hause zu fahren. Unsere Augen wurden immer groesser, hatten wir uns doch jetzt darauf verlassen, unseren Hunger zu stillen. Nach und nach leerte sich der Marktplatz. Von den seitlichen stationaeren normalen Restaurants sahen wir noch etwas Licht und mehr Leben, steuerten auf einen der aussen stehenden Bediensteten zu, um nach Essbarem zu fragen. Sofort kuemmerte er sich um sein Personal, um alles fuer unseren grossen Hunger zu veranlassen. Endlich sassen wir und wussten um baldige innere Ruhe.

Nachdem die Essensbestellung klar war, fragte die einzige weiblich Bedienstete, was wir denn trinken wollten. Tee antwortete ich auf chinesisch und wiederholte es noch mal…Tee. Sie musste mit meiner Betonung nichts so Richtiges anzufangen, verschwand kurz und kam mit einem roten Kasten wieder zum Vorschein. Hinten von der Kueche aus hielt sie mir diesen hoch und wollte sich diesbezueglich noch mal vergewissern. Ich nickte, nahm ich doch an, dass dies schon der richtige Tee sein wuerde. Mittlerweile stand die schoene Nudelsuppe auf dem Tisch und wir hatten zu tun. Die junge Dame war inzwischen mit unserem Getraenk bei uns und stellte eine Flasche hochprozentigen Maotai auf den Tisch. Bevor ich etwas entsetzt versuchte, den Irrtum klarzustellen, war die Flasche bereits geoeffnet und ein erstes Glaeschen gefuellt. Unter viel Gelaechter wurde meinem Wunsch entsprochen, die angebrochene Flasche stand in Ruhe nebenan auf dem Tisch. Mit uns und den Gastgebern ging es sehr lustig zu, wurden wir doch aufgefordert, die traditionellen Maultaschen mit herzustellen. Das liess sich Angela nicht zweimal sagen und …mich sofort am Tisch alleine sitzen.

 

Keine zehn Minuten vergingen und ein aelterer Herr kam in das Lokal, schaute sich kurz um, registrierte den freien Sitzplatz neben mir und in der Naehe der Maotai-Flasche, setzte sich und hatte auch schon sein Glas mit meinem Hochprozentigen gefuellt. Nachdem er auch mein Glas eingoss, prostete er mir zu und ich war fuer die naechste Zeit mit dem Herrn beschaeftigt, waehrend Angela voller Begeisterung, sich immer noch besondere Fingerfertigkeiten anzutrainieren. Relativ schnell war die Flasche mit allen Beteiligten zur Neige gegangen. Der uebrig gebliebene kleine Rest hatte keine Chance mehr, verlangte ich jetzt nach der Rechnung. Schlagartig veraenderte sich die Stimmung im Restaurant, wurde die Rechnung von dem Einen zum Anderen geschoben, um dann bei uns auf dem Tisch zu landen. Meinen Augen nicht trauend las ich las ich eine glatte 100 auf dem Zettel. Noch hielt mich die bis dahin heitere Stimmung fest und freundlich wollte ich dieses Missverstaendnis aufklaeren. So betretener ich vom Chef eine kopfnickende Bestaetigung erfuhr, so entgleister muessen meine Gesichtszuege gewesen sein. Beklemmende Stimmung fuellte sofort den Raum. Mit Ruhe und Dringlichkeit wollte ich nochmals um ein anderes Angebot erbitten. Ich sprach 5 Minuten lang ein schwer verstaendliches Chinesisch und mit viel Hin und Her landeten wir wenigstens bei 70 Yuan. Total ueberteuert das Essen bezahlend liess ich ein wenig meinen Unmut rueberwachsen, dass ich es nicht schoen fand, fuer zwei Nudelsuppen 40 Yuan bezahlen zu muessen.

Wusste ich aber auch, dass ich ganz klar eine wichtige Spielregel verletzt hatte, nicht vorher im Handeln den Preis ausgemacht zu haben. Dreieinhalb Wochen war ich schon mit Angela unterwegs in China und hatten so manche Situation gut gemeistert und nun wieder dieses „Lehrgeldzahlenmuessen“.

Ich war mit mir selbst richtig sauer ueber diesen Fehler, liess jedoch auch das Personal spueren, dass sie mit ihrem Preis ein wenig uebers Ziel hinausgeschossen sind. Mir stand die Freude nicht gerade ins Gesicht geschrieben, nachdem ich aeusserte, dass der Preis zwar viel zu hoch war, aber das Essen ausgezeichnet geschmeckt hat. Sie selbst leicht betreten wuenschten uns einen guten Weg und wir sollten doch bald wiederkommen, worauf ich entgegenete, dass wir gerne wiederkommen werden.

Langsamen Schrittes gingen wir Luft holend den Weg zurueck zum Hotel. Angelas ebenfalls leichte Unmutsbekundung, dass wir hier wohl nicht mehr hergehen werden, beantwortete ich mit wieder etwas geglaetteten Gesichtszuegen, dass wir das wohl tun werden, hatte ich ihnen beim Gehen geantwortet ‚wir kommen wieder’.

Und diese Geschichte war fuer mich noch lange nicht abgeschlossen. Ich wollte nicht nur mein Gesicht behalten, ich wollte das Spiel auf chinesische Art beenden.

 

Um Angelas unbaendigen Hunger auf unserer Reise wusste ich Bescheid. Zu Hause Deftiges gewoehnt schien sie mir hier fast aus den Latschen zu kippen. Vorsorglich liess ich sie gerne ein zweites mal essen, so auch dieses Mal. Bevor wir uns am uebernaechsten Tag am Abend aufmachten, unser Versprechen einzuloesen, ging ich mit Angela etwas zeitiger auf denselben Markt und liessen uns das 2. Essen bereits im Vorfeld schmecken. Gesaettigt machten wir uns auf die letzten vielleicht 80 Meter zu unserem Restaurant.

Einer von den beiden Herren hockte vor dem Lokal,um die runtergebrannte Kohle aus dem Ofen zu entsorgen. Schlagartig hielt er inne mit seinem Tun, stiefelte zuegig nach innen und schien seine Kollegen auf uns vorzubereiten. Angela schaute nur kurz zu mir und beide begannen wir zu schmunzeln, hatten sie wohl Auslaender anders eingeschaetzt. Fuersorglich wurden wir am selben Tisch platziert, gleich darauf hinweisend, dass wir heute eingeladen sind. Bevor wir uns setzten griff ich in meine Hosentasche und zog den vorsorglich vorbereiteten 20 Yuan Schein heraus und legte ihn ruhig auf den Tisch und gab freundlich zu verstehen, dass wir fuer dieses Geld gerne essen wuerden. Wir bekamen unser Essen, unseren Tee zu trinken und erzaehlten, was wir in den vergangenen zwei Tagen erlebt hatten. Nun geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte. Man brachte uns doch tatsaechlich die Flasche mit dem letzten Rest Maotai, der am Abend uebrig geblieben war. Man hatte ihn vorsorglich aufgehoben, hatte ich doch unsere Wiederkehr angedeutet.

Sehr genau unsere Gesichtszuege beobachtend unterhielt ich mich zwischenzeitlich mit Angela ueber unseren baldigen Aufbruch. Es lag eine eigenartige Stimmung im Raum, aber keine schlechte. Sie hatten das Gefuehl, wieder etwas gutmachen zu muessen und ich wollte ihnen gerne dieses nehmen, indem ich fein artig den 20 Yuan Schein liegen liess, als wir uns verabschiedeten. Sie respektierten es. Sie fragten nach unseren naechsten Tagen hier in Dunhuang. Ich entgegenete, dass wir uebermorgen nach Peking weiterfliegen, wir aber morgen gerne noch mal vorbeischauen wollen. Es war eine vorsichtige, vorfuehlende Freundlichkeit beim Verlassen des Restaurants. Ich hatte das Gefuehl, dass dieses Spiel wirklich erst morgen zu Ende sein wird.

Am naechsten Nachmittag waren wir beide uns einig, dass wir unser Essen spaeter einnehmen werden. Wir wollten nur gerne Aufwiedersehen sagen, so wie es sich fuer uns gehoerte, wollten wir zumindest, wenn schon nicht der Sprache maechtig, mit unserem Verhalten unsere Antwort geben.

Sehr aufgeschlossen, richtig herzlich wurden wir am folgenden Tag begruesst. Unserem kurzen Wunsch wurde gerne entsprochen, wir plauderten mit unseren Woerterbuechern und verabschiedeten uns nach der zweiten Tasse Tee.

Neben dem nun herzlichen Verabschieden erfuhr ich neben dem kraftvollen Haendedruecken jedes Einzelnen auch einen freundschaftlichen Schulterschlag vom Chef. Wir hatten zu Ende gespielt. Wir haben stolz und freundlich in ihren Augen unser Gesicht bewahrt. Alles war wieder im Gleichmass.

 

Es war eine eindrucksvolle Begegnung, die ich immer wieder sehr gerne hervorhole, um zu zeigen, dass Kulturunterschiede noch lange nicht Alles sind.


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