Ueber "Drachen" ...und das Leben in einem 400 Jahre alten Familienhof   

          

Wer China bereist, wird feststellen, dass bestimmte architektonische Formen immer wieder vorzufinden sind. Gleich, ob es sich um ein einzelnes Gebaeude handelt, um einen Gebaeudekomplex oder ob es die kunstvoll gefertigten Fenster und Tueren an ihm sind, staendig begegnet man rechteckigen Formen, die einzeln eine Einheit darstellen, aber auch zu einem Ganzen zusammengefuegt werden koennen. Klar voeinander getrennt ergeben zum Beispiel Gebaeude, die nach diesem traditionellen Vorbild errichtet wurden, einen dynamischen, einen lebendigen Eindruck.

Stellen mehrere Gebaeude einen Komplex dar, werden sie ausgerichtet nach einer zentralen Achse. Solche Komplexe sind die bekannten Familienhoefe. Nachfolgende Gebaeude in einem solchen Familienhof stellen jeweils einen rechten und einen linken Fluegel dar.

Betritt man in diesem Komplex einen einzelnen Wohnhof, faellt die zum Teil kunstvoll gefertigte Sichtblende auf, die einzig und allein der Funktion dient, ungebetene „Gaeste“ fernzuhalten. So wie dies auch hohe Tuerschwellen bewirken, so eben auch die sichtbehindernden Waende, koennen doch Geister, wie wir wissen, nur geradlinig umhergeistern.

Schon die alten Kaiser bedienten sich dieser ruhespendenden Massnahmen. Wer in Peking den Kaiserpalast und den anschliessenden Behai-Park besucht und dort fuer die Suche keine Zeit gescheut hat, der konnte sich ueber die kunstvollere Form in glasierten Keramikziegeln und halbplastischen Drachenfiguren mit gewaltigen Abmaßen freuen. Eine dritte solcher kaiserlichen Sichtblende gibt es in der ca. 350 Kilometer nordoestlich von Peking gelegenen Industriestadt Datong. Hier befindet sich die letzte der drei in ganz China existierenden Neun-Drachen-Mauern. Wer sich diese Drachen genauer anschauen konnte, wird festgestellt haben, dass den Datonger Drachen „Arme“ mit nur vier Krallen zustanden, waehrend die Pekinger Ebenbildnisse fuenf vorweisen koennen. An dieser Stelle sei gesagt, dass Datong nicht nur wegen den  fehlenden Krallen eine Reise wert ist. Die Stadt ist gerade dabei, ihren Industriestadt-Charakter ein wenig bunter zu gestalten, ist sie beim ersten Hinschauen kein typischer touristischer Blickfang. Aber deswegen fahren die vielen Chinafreacks auch nicht mit dem Nachtzug von Peking nach Datong. Wer hierher faehrt, weiss um die kulturvolle Umgebung Bescheid. Wer hier haltmacht, sieht einmalige Beispiele der alten klassischen chinesischen Architektur-Baukunst.

 

Cirka 75 Kilometer suedlich von Datong laesst sich mit einem gemuetlichen Tagesausflug die mit ihren fast 1000 Jahren aelteste Holzpagode Chinas bewundern. Gebaut wurde sie im Jahre 1056 und weist eine derart komplizierte und raffinierte Bauweise vor, dass heute noch weltweit die chinesische Regierung darum bemueht ist, geeignete Architekten fuer eine Rekonstruktion zu finden. Der Ueberlieferung nach ueberstand diese ueber 60 Meter hohe und ohne einen einzigen metallischen Zusatz errichtete Pagode 7 Erdbeben in ihrer langen Geschichte fast gaenzlich unbeschadet. Einen Katzensprung von hier entfernt befindet sich im Hengshan-Gebirge, einem der fuenf daoistischen Heiligen Berge in der chinesischen Mythologie, das Haengende Kloster. Im 6. Jahrhundert wurde diese Klosteranlage an einer steilen Felswand, ca. 30 Meter ueber dem Grund „haengend“, gebaut. Einmalig kann man dieses Gebauede nicht nur wegen seiner Konstruktion bezeichnen, auch dass dieses Kloster als Pilgerstaette gleichzeitig Raeumlichkeiten fuer Buddhisten, Konfuzianer und Daoisten bot, wird man in China nicht oft begegnen.

Ist man nun schon einmal in Datong ausgestiegen, dann macht es auch unbedingt Sinn, sich fuer die noerdlich gelegenen Hoehepunkte zu interessieren. Der Buddhismusr wurde in der fuer kurze Zeit erklaerten Kaiserhauptstadt Datong im 5. Jahrhundert zur Staatsreligion. Waehrend dieser Noerdlichen Wei-Dynastie liess daraufhin der Kaiser die bekannten Yungang-Grotten erschaffen, die fuer mich die attraktivste buddhistische Grottenanlage ueberhaupt darstellt auf dem langen Weg der Seidenstrasse bis hin nach Xi’an. Ist sie doch entgegen den anderen und weitaus bekannteren Longmen- und Mogao-Grotten die fuer den Touristen am Schoensten zu besichtigende Anlage. Entgegen den Mogao-Grotten bei Dunhuang kann man die einzelnen Grotten sehr schoen im ganzen raeumlichen Komplex bei normalen Tageslicht betrachten und die wundervollen fabig gestalteten Halbplastiken auf sich wirken lassen, was in Dunhuang leider nicht mehr moeglich ist.

Kurz vor dem Erreichen der Yungang-Grotten befindet sich eine kleine Tempelanlage mit einer ebenso kunstvoll gefertigten 3-Drachen-Mauer fuer einen damaligen Prinzen aus der Liao-Dynastie.

Nach der Besichtigung der Yungang-Grotten kann man mit einem kleinen Umweg ueber die Grosse Chinesische Mauer aus der Zeit der Han-Dynastie zu den Sehenswuerdigkeiten im Zentrum der Stadt zurueckkommen. Hier gibt es neben alten Klosteranlagen aus der Zeit der Ming-Dynastie die vorhin schon genannte Neun-Drachen-Mauer. Auf dieser 45 Meter langen aus farbigen Keramikziegeln bestehenden Mauer sind diese neun kaiserlichen Drachen abgebildet, die im Spiel mit der Sonne Regen erzeugen.

 

Vom kleinen Ausflug zu den kaiserlichen Sichtblenden zurueck in die suedwestliche Provinz Chinas, zu unserem Familienhof.

In einem Wohnhof spiegeln sich die sozialen Werte wieder. Traditionell der chinesischen Wohnhof-Kultur folgend ist die raeumliche Aufteilung fuer die einzelnen Familienmitglieder klar vorgegeben. Entsprechend der Stellung in der Familie wird dem Hausherrn der Hauptraum zugestanden. Die aelteren Familienmitglieder leben in den hinteren Abschnitten, die juengeren in den rechts und links befindlichen Fluegeln. Zwischen dem rechten und linken wird ebenfalls nochmal unterschieden, laesst der juengere hier dem aelteren den Vortritt und bezieht den rechten Fluegel.

      

Besonders ist es natuerlich interessant, trifft man in Chinas Wohnhoefen dazu noch das traditionelle Leben der Menschen an. Um diese zu finden und das auch dazu im Sued-Westen Chinas, dazu muss man schon ganz genau mit dem Finger auf der Landkarte suchen. Gut restaurierte Wohnhoefe aus der Zeit der Ming-Dynastie mag es schon einige geben, die in ihrer Architektur die handwerklichen Faehigkeiten alter grosser Meister unter Beweis stellten. In denen sich jedoch das alltaegliche Leben nach uralter Tradition abspielt, ohne touristische Einlagen, diese sind in der Tat sehr rar gegeben. Die Menschen bei ihren Alltaeglichkeiten zu beobachten, ohne das Gefuehl zu haben, man stoert sie in ihrem Rhythmus oder sie brennen nur so auf den naechsten Touristen, dieses Gefuehl wird in dem von mir gefundenen Wohnhof in keiner Weise vermittelt. Dieser Wohnhof der Familie Qin aus der Zeit der Ming-Dynastie liegt ca 115 Fahrkilometer von Guilin in der Provinz Guangxi entfernt, nahe der Stadt Xing’an. In einer landschaftlich reizvollen Umgebung eingeschlossen hatte vor mehr als 400 Jahren ein in den Ruhestand versetzter kaiserlicher Beamter mit seiner gesamten Familie diesen Wohnsitz geschaffen. Mittlerweile sind ueber die Generationen hinweg insgesamt 23 Gebaeude entstanden, die alle kunstvolle Verzierungen an Fenstern und Tueren vorweisen. Ebenso kann man hier noch wunderschoene Steinmetzarbeiten bestaunen. Ungetruebt von Rekofarben und Instandsetzungsarbeiten kann man wunderbar die reinen Holzarbeiten in ihrer Originalitaet – wirklich – bewundern. Das reine bearbeitete Holz mit den Fingern beruehren zu koennen, wenn man weiss, dass 400 Jahre und mehr dazwischen liegen, das war schon ein Moment, den ich gerne mit nach Hause genommen habe.
                         

                                                                         
Je nachdem, zu welcher Zeit man den sehr freundlichen Menschen einen Besuch abstattet, erlebt man sie gerade zusammen beim Essen mit lustigem Geschwaetz, nachdem sie von der Feldarbeit zurueckgekommen sind, oder sie sind dabei, die Innenhoflaechen zu nutzen, um ihren Mais zum Trocknen auszubreiten. Wenn die Ernte besonders ergiebig war, dann bedienen sie sich in der trockenen Jahreszeit auch der zusaetzlichen Flaechen auf ihren Daechern, um es zu verteilen.

                                                         

Es kann aber auch sein, dass sie von den zu Hause Gebliebenen erwartet werden, da sie das Essen bereits zubereitet haben. Vielleicht sind Sie aber gerade auf dem Weg ins Nachbardorf, um ihr Gemuese zu verkaufen. Man trifft die Menschen durchaus auch am anliegenden Berg, wo sie die suess schmeckenden Beeren von den Baeumen einsammeln.

Was aber ganz sicher war, dass mein zufaelliger Besuch zu einem angenehmen Hoehepunkt fuer die Menschen an diesem Tage wurde und ebenso  fuer mich…..

 

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